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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Zwei echte Könige und ein König der Rockmusik auf der Buchmesse

Nach Willem-Alexander aus den Niederlanden und Belgiens Philippe kam Bruce Springsteen

von Von Michael Hörskens

(24.10.2016)  Über 275000 Besucher strömten zur 68. Frankfurter Buchmesse, die am Sonntag endete. Sympathische Ehrengast-Länder der diesjährigen Leistungsschau der gedruckten Worte und Bilder waren die Niederlande und Flandern unter dem Motto „Dit is wat we delen - Dies ist, was wir teilen“. Mehr als 7000 Aussteller aus rund 100 Ländern waren auf dem weltweit größten Branchentreffen präsent. Thematische Schwerpunkte der Buchmesse waren der Kampf um Meinungsfreiheit und die digitale Vermarktung von Kunst. An den ersten drei Tagen war die Buchmesse Fachbesuchern vorbehalten. Am Wochenende hatte dann auch das allgemeine Lesepublikum Zutritt. Rund um die Messe gab es rund 4000 Veranstaltungen mit etwa 600 Autoren.


Royaler Besuch auf der Buchmesse: Bei der Eröffnungsfeier gaben sich der niederländische König Willem-Alexander und Philippe, König der Belgier die Ehre.
Foto: Buchmesse/Heimann
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Sehr royal ging es gleich zu Beginn der diesjährigen Buchmesse zu. Zur Eröffnungsfeier erschienen der niederländische König Willem-Alexander und der König der Belgier, Philippe mit Ehefrau Mathilde. Bei dem Festakt im Congress Centrum der Messe hob EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in seiner Rede das gute Verhältnis zu den beiden Nachbarländern hervor: „Sie sitzen hier als unsere engen Freunde“, sagte er zu den Partnern der Buchmesse 2016. „Diese Freundschaft mit Ihnen ist ein großes Geschenk.“ Die Niederlande und Belgien, so Schulz, hätten „nur fünf Jahre nach Auschwitz“ der jungen Bundesrepublik die Hand gerecht und Deutschland die Rückkehr in die Völkergemeinschaft ermöglicht.

Schulz betonte darüber hinaus die große Bedeutung von Büchern. „Meine Eltern haben mir schon früh die Liebe zu Büchern gelehrt“, berichtete der Europapolitiker. Später habe er den Beruf des Buchhändlers ergriffen. „Ich habe verstanden, welche Macht und Kraft Worte besitzen“, sagte er. „Aus Büchern habe ich auch gelernt, was europäische Kultur ausmacht.“ Literatur, so Martin Schulz, helfe verstehen, wer wir sind oder welches Handeln gut ist.

Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, erklärte, dass die Partnerländer und Deutschland vieles verbinde wie die Historie und die Sprache. Dann legte er den Fokus auf das Thema Literatur. „Bücher bauen Brücken, sie bieten Meinungen und Ideen eine Plattform“, sagte Riethmüller. „Es ist daher schlimm, wenn die Meinungsfreiheit unter Druck gerät“, kritisierte er und nannte hierbei die aktuelle Situation in der Türkei, wo derzeit die Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen getreten wird. „Die Türkei macht uns große Sorgen, sie ist in eine extreme Schieflage geraten“, unterstrich er. Die Situation für Journalisten und Autoren sei schlimm, viele würden massiv drangsaliert oder befinden sich in Haft. Sogar Kinderbücher-Verlage stünden unter Beobachtung. „Mehr als 130 Kollegen sitzen in der Türkei im Gefängnis und erleiden Folter, nur weil sie ihren Beruf ausüben, ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen und für ihre Meinung einstehen“, berichtete Riethmüller. „Und die Politik schweigt hierzu“, monierte er. Freiheitliche und demokratische Werte würden aus Nützlichkeitserwägungen geopfert.

Wegen der Situation in der Türkei und Einengung der Presse- und Meinungsfreiheit dort habe der Börsenverein des deutschen Buchhandels nun gemeinsam mit dem PEN-Zentrum Deutschland und der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ die Petition “FreeWordsTurkey“ initiiert. „Darin fordern wir die Bundesregierung und die EU-Kommission auf, die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit kompromisslos einzufordern“, erklärte Heinrich Riethmüller. „Wir dürfen die Hoffnung in Worte nicht verlieren, wir wollen Mauern einreißen“, ließ der Vorsteher des Börsenvereins verlauten.


Niederlande und Flandern waren die 2016 die Partnerländer der größten Literarturschau der Welt
Foto: Fiona Hörskens
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Hessens Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, betonte wie Schulz und Riethmüller die historischen Verbindungen von Deutschlands mit Flandern und den Niederlanden. „Wir teilen die Historie und die Nordsee“, sagte Rhein. Er unterstrich ebenfalls die Bedeutung von Büchern: „Eine Gesellschaft, in der gelesen wird, ist weniger anfällig für Intoleranz.“ Frankfurts Oberbürgermeister kam auf den berühmtesten Sohn der Stadt zu sprechen: „Goethe hat den Begriff der Weltliteratur geschaffen“, sagte der Rathauschef.

Das Highlight bei den Buchvorstellungen im Rahmen der Buchmesse ging im Frankfurter Fünf-Sterne-Hotel „Villa Kennedy“ über die Bühne. Dort las der Rockmusiker Bruce Springsteen Passagen aus seinen Memoiren „Born to Run“ vor. Dazu benötigte er eine Lesebrille. „I am an old man, yeah“, scherzte der 67-jährige Rockmusiker. Was nicht allzu ernst zu nehmen war, denkt man an seine diesjährige Konzert-Tournee, bei der er wie etwa in München jedes Mal drei Stunden ohne Mühe mit seiner Band musizierte. In seiner bodenständigen Art trägt er vor, wie er einmal davon geträumt hat, die Stones würden in der heimischen Asbury Park Convention Hall spielen und er als Ersatzmann von Mick Jagger einspringen durfte.

Mit beeindruckender Offenheit sprach der Weltstar über seine Depressionen. Er vermutet, dass diese Krankheit familiären Ursprungs ist und von den Genen seines an einer bipolaren Störung leidenden Vaters stammt. „Ich mache seit 30 Jahren Psychoanalyse“, berichtete er. Springsteen legte dar, dass ihm die Prosaform des 672 Seiten umfassenden Buches im Vergleich zur limitierten Form von Songtexten die Möglichkeit gab, mit noch mehr Tiefe die Kämpfe und inneren Turbulenzen seines Vaters Doug zu beschreiben. Dieser hatte beim Automobilhersteller Ford am Fließband gearbeitet, er trank viel. „Wie sich herausstellte, hatte er auch eine bipolare Störung“, erzählte Bruce Springsteen. Seine Mutter lebe noch, leide aber an Alzheimer, teilte der Musiker mit, der in einigen Passagen des Gespräches für einen Moment die Augen schloss. Er informierte auch, dass er sieben Jahre an dem Buch gearbeitet und vorher andere Musikerautobiografien gelesen habe, etwa von Eric Clapton oder Bob Dylan, der bekanntlich vor Kurzem den Literatur-Nobelpreis erhalten hatte. Dessen bisheriges Schweigen zu der ehrenvollen Auszeichnung kommentierte Springsteen knapp: „Ich bin sicher, dass er sehr glücklich ist.“


Über 175000 Besucher stöberten dieses Jahr an den vielen Ständen der Messehallen
Foto: Fiona Hörskens
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Einige weitere Prominente verliehen der Frankfurter Messe Glanz. Einen großen Auftritt hatte etwa der unverwüstliche Hardy Krüger, der inzwischen 88-Jährige präsentierte sein Buch „Was das Leben sich erlaubt.“ Nele Neuhaus erregte Interesse mit ihrem neuen Taunus-Krimi „Im Wald“. Als dort im dunklen Forst ein Wohnwagen in Brand gerät, zieht dieses Ereignis eine Reihe von Morden nach sich. Schnell ist für den erfahrenen Kommissar Oliver von Bodenstein klar, der Schlüssel zum Verbrechen liegt verborgen in der Vergangenheit. Die Autorin, die unter ihrem Mädchennamen Nele Löwenberg auch Kinderbücher geschrieben hat, betonte: „Ich möchte vor allem Kinder und Jugendliche zum Lesen animieren“, erzählte sie. Neuhaus hat dazu auch eine Stiftung gegründet, die junge Menschen zur Literatur hinführen soll.

In Hülle und Fülle gab es auf der Buchmesse interessante Fachliteratur. Dabei standen vielfach die Themen Reisen, Haus und Garten, Kochen oder auch Auto und Motorrad im Fokus. Dazu fanden andere praktische Ratgeber großes Interesse, etwa das Thema Betreuung und Vorsorge, welches von der Stiftung Warentest in einer aufschlussreichen Zusammenstellung gerade für ältere Bürger sehr informativ veröffentlicht ist.

Entspannen und den Blick in die Ferne schweifen lassen konnten Besucher im Ehrengast-Pavillon. Hier ließen sich die Gastländer Flandern und die Niederlande von der rauen Schönheit der Nordsee inspirieren. Für Unterhaltung am Abend sorgte schließlich das Programm der neuen Booklounge. Im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur fanden Veranstaltungen und Lesungen an den Publikumstagen insbesondere im Lesezelt auf dem Messegelände statt.

Selbstredend gab es im Rahmen der Messe wieder Auszeichnungen. Der in Frankfurt lebende Schriftsteller Bodo Kirchhoff, geboren 1948, erhielt zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse für seine Novelle „Widerfahrnis“ den Deutschen Buchpreis. Trägerin des Friedenspreises 2016 ist Carolin Emcke („Gegen den Hass“). Emcke, so hatte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, zuvor erklärt, mache klar, „dass es einen Zusammenhang zwischen Gewalt und Sprache und Gewalt und Sprachlosigkeit gibt“. Traumata nähert sie sich indirekt, mit vermeintlich unerheblichen Details – dem eigenen, wenn sie über den RAF-Mord an ihrem Patenonkel Alfred Herrhausen schreibt, dem der anderen, wenn sie aus Kriegsgebieten berichtet. Die Preisträgerin erhielt für ihre schwungvolle und von viel Optimismus getragenen Dankesrede in der Paulskirche viel Applaus.

Auf dem Römerberg ging mit den Veranstaltungen „Open Books“ und „Literatur im Römer“ ein Lesefest mit großer Resonanz über die Bühne. Dabei wurden die wichtigsten Neuerscheinungen des Herbstes vorgestellt. Nach einem furiosen Auftakt mit dem frisch gekürten Buchpreisträger Bodo Kirchhoff endete am Samstagabend mit der langen Lyriknacht „Teil der Bewegung“ und der „Open Party“ das vom Kulturamt der Stadt Frankfurt veranstaltete Lesefest.

Und noch eine positive Nachricht: Während der Messe wurden Hunderte von Bücherspenden für das Kunstprojekt der argentinischen Künstlerin Marta Minujin gesammelt, die im kommenden Jahr auf der documenta mit ihrem Werk ein Zeichen für die Meinungsfreiheit setzen will.

Die Geschichte der Frankfurter Buchmesse reicht übrigens zurück bis ins Mittelalter, als Johannes Gutenberg nur wenige Kilometer von Frankfurt entfernt den Buchdruck erfand. Heute ist die Frankfurter Buchmesse die größte Buchmesse der Welt.