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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

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„Manchmal ärgern wir uns auch parteiübergreifend!“

Exklusiv-Sommerinterview mit dem Frankfurter MdB Prof. Dr. Zimmer

von Bernd Bauschmann

(18.07.2016)  Prof. Dr Matthias Zimmer (55) wurde in Marburg geboren. Er ist seit 25 Jahren verheiratet, hat zwei Kinder, wohnt seit 2001 im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim und ist seit 2009 in zweiter Wahlperiode Bundestagsabgeordneter der CDU für das westliche Frankfurt. An der Universität Köln habilitierte er und wurde 2013 zum Honorarprofessor ernannt. Zu Beginn der Sommerpause des Parlaments gab er „Frankfurt-Live“ ein Exklusivinterview.

Prof. Dr Matthias Zimmer (55) wurde in Marburg geboren. Er ist seit 25 Jahren verheiratet, hat zwei Kinder, wohnt seit 2001 im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim und ist seit 2009 in zweiter Wahlperiode Bundestagsabgeordneter der CDU für das westliche Frankfurt. An der Universität Köln habilitierte er und wurde 2013 zum Honorarprofessor ernannt. Zu Beginn der Sommerpause des Parlaments gab er „Frankfurt-Live“ ein Exklusivinterview.


Der Abgeordnete Prof. Dr. Matthias Zimmer von der CDU ist für den westlichen Frankfurter Wahlkreis bereits zum zweiten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt worden.
***

Frankfurt-Live: Herr Prof. Zimmer. Was macht ein Parlamentarier in der Sommerpause?
Zimmer: Das Wort „Sommerpause“ klingt zwar recht entspannend, trifft aber nur bedingt zu, denn die politische Arbeit hört ja nicht plötzlich auf. Auch die Termine im Wahlkreis mit vielen Stadtteil-, Bürger- und Vereinsfesten wollen besucht werden.

Frankfurt-Live: Das klingt nun aber eher vergnüglich als stressig.
Zimmer: Ja, wenn es dabei bliebe. Es gibt da aber noch Sitzungen mit den Parteigruppierungen und Organisationen, in denen wir Parlamentarier vertreten sind oder ihnen gar vorstehen. Auch in den Nicht-Plenarwochen tagt ja beispielsweise der Kreisvorstand der CDU, dem ich angehöre, oder der CDA-Landesvortand, dessen hessischer Landesvorsitzender ich bin, oder der CDA-Bundesverband, wo ich als stellvertretender Vorsitzender tunlichst dabei sein sollte. Und das ist noch längst nicht alles. Außerhalb der Plenarferien bin ich jeden Abend unterwegs; in den Plenarferien ist es etwas entspannter.

Frankfurt-Live: Was sagt denn Ihre Frau dazu?
Zimmer (schmunzelt): „Da macht er mir wenigstens die Wohnung nicht dreckig.“ – Doch um die Sache abzurunden: Manche Vorgänge, die liegengeblieben sind, können jetzt endlich aufgearbeitet werden, und Stapel von Berichten, Magazinen, Vorlagen, Zeitungen usw. harren darauf, endlich gelesen zu werden. So ganz nebenbei verfolgt man natürlich weiterhin aufmerksam das aktuelle politische Geschehen.

Frankfurt-Live: Erholsam klingt das wahrlich nicht. Doch: Wovon „erholen“ Sie sich denn überhaupt in dieser „Sommerpause“?
Zimmer: Wie der Name „Parlamentsferien“ schon sagt, von der Parlamentsarbeit.

Frankfurt-Live: Könnten Sie mal näher erklären, wie die so abläuft?
Zimmer: Sie müssen sich das vorstellen wie einen Schulalltag mit festem Stundenplan, der schon am frühen Morgen, manchmal bereits um 7.30 Uhr, beginnt, und auch die Abende und Nächte, beispielsweise die fixen Landesgruppentreffen der CDU ab 19 Uhr zum Informationsaustausch, einbezieht. Besuchergruppen, Pressetermine, Reden schreiben, Teilnahme an zahlreichen Arbeitskreisen, das lässt einem die Zeit nicht langweilig werden. Und dazu kommen noch etwa 300 Einladungen von Lobbygruppen.

Frankfurt-Live: In der Woche?
Zimmer (lacht): Nein, um Himmels Willen. Die sind verteilt auf die jährlich 24 Plenarwochen, die jeweils von Montag bis Freitag dauern. Aber es gibt noch etwas anderes zeitlich sehr Belastendes, das so gut nie thematisiert wird: Glückwünsche schreiben. Zu Geburtstagen, Ehrungen, Feiertagen. Bei mir kommen pro Monat etwa 200 Karten zusammen, an Weihnachten sind es jeweils um die 1000 Briefe. Selbst wenn vieles vorgeschrieben ist, fügt man in aller Regel noch handschriftlich das eine oder andere hinzu. Das läppert sich auf dem Zeitkonto.

Frankfurt-Live: Und dann bekommt man wahrscheinlich ebenso viele Wünsche wieder zurück, die man sich ja auch ansehen muss. Vor diesem Hintergrund müsste man sich eigentlich wünschen, möglichst unbeliebt zu sein. Doch nochmal zurück zum Stundenplan. Das klingt irgendwie nach Gängelei der Abgeordneten.
Zimmer: Stimmt. Aber anders geht es nicht. Wir müssen ja irgendwie zusammenkommen, uns beraten und gegenseitig informieren, und zwar strukturiert. Einige kurze Fakten zum besseren Verständnis: Zu festgesetzten Stundenzeiten treffen wir uns beispielsweise am Montagnachmittag zu Anhörungen in Ausschüssen. Als Mitglied des Fraktionsvorstandes nehme ich auch an dessen Sitzungen teil. Am Dienstag stehen, zu ebenfalls festgesetzten Zeiten, und zwar stundenweise, die Arbeitsgruppen der so genannten soziologischen Gruppen auf dem Programm, z. B Frauen, Ostdeutsche, Junge, Vertriebene, Arbeitnehmer oder Mittelstand. Da bin ich als Vertreter der Arbeitnehmergruppe eingebunden. Als stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales tage ich mittwochs jeweils von 9.00 bis 13 Uhr, am Donnerstag und Freitag sind Plenartage, am Donnerstag tagt ab 14 Uhr der Ältestenrat, dem ich ebenfalls angehöre, und ...

Frankfurt-Live: Entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber ich glaube, wir haben die Sache mit dem Stundenplan verstanden. Jetzt mal zum Inhaltlichen: Als Bundestagsabgeordneter arbeiten Sie auf drei Ebenen: Als Mitglied der regierenden Partei für Deutschland in seiner Rolle im internationalen Staatengeflecht, desweiteren als Mitgestalter aller Gesetze, Regelungen, Verordnungen und Kodexe in Deutschland und als Drittes für die Interessen und Belange Ihrer Wähler in Ihrem Wahlkreis Frankfurt. Präferieren Sie eine dieser Handlungsebenen?
Zimmer: Irgendwie sind ja alle Themen miteinander verflochten und gleichermaßen wichtig. Dennoch kümmere ich mich besonders gerne um Dinge, die mit meiner Heimatstadt Frankfurt zu tun haben oder versuche hier zu erklären, was Berlin da so beschlossen hat. Die Regierenden von Frankfurt brauchen meine Hilfe nicht unmittelbar. Die städtischen Behörden, die Strukturen sind hier unglaublich gut aufgestellt, und die zentralen Player wie z.B. die Chemieindustrie, die pharmazeutischen Unternehmen, der Flughafen, um nur einige zu nennen, brauchen den Abgeordneten in der Regel auch nicht. Die Verantwortlichen dort haben häufig gute Drähte in die Ministerien oder das Bundeskanzleramt. Aber sich gegenseitig zu informieren ist wichtig, und manchmal kann man auch helfen.

Frankfurt-Live: Nennen Sie ein Beispiel!
Zimmer: Für das geplante Romantikmuseum in Frankfurt konnten wir, damit meine ich auch meine geschätzte Kollegin Erika Steinbach, dem Bund einen namhaften Finanzierungszuschuss abringen. Bei der Planung von Umgehungstraßen, Trassenführungen von Stromleitungen, Entscheidungen zur möglichen Einführung der Finanztransaktionssteuer, die für den Bund positiv, für den Finanzplatz Frankfurt aber eher schlecht wäre, haben wir ebenfalls ein Wörtchen mitzureden. Und ganz wichtig ist der persönliche Beistand, wenn beispielsweise Hilferufe von Wähler kommen, die irgendwie zwischen die Mühlsteine der Verwaltung geraten sind – eine Spezialität von uns Deutschen – und keinen anderen Ausweg mehr sehen als sich an ihrem Abgeordneten zu wenden. Ein Machtwort, wie vielfach erwartet, können wir zwar auch nicht sprechen, aber ich kann zuhören, die Verwaltungssprache „übersetzen“, vielleicht auch weiterhelfen, und das entspannt dann doch so manches Problem.

Frankfurt-Live: Klingt da der Begriff interaktiv durch?
Zimmer: Gut aufgepasst! Dazu gehört auch, dass ich viele wertvolle Ratschläge und Informationen von den verschiedensten Organisationen und Verbänden hier aus Frankfurt erhalte, angefangen von Integrationsmöglichkeiten von Langzeitarbeitslosen bis hin zu Flüchtlingsfragen und vielem mehr! Die Nähe zu meinen Wählern, ja zu den Menschen allgemein, ist mir nicht nur wichtig, sie bildet die Grundlage meiner Überzeugung: Die Politik hat für den Menschen dazusein!

Frankfurt-Live: Das deckt sich mit dem Duktus Ihres Buches “Nachhaltigkeit!: Für eine Politik aus christlicher Überzeugung“, das im November 2015 im Verlag Herder erschienen ist. (Anm. d. Red.: 256 Seiten, 24,99 Euro, gebundene Ausgabe).Es ist das erste Buch, das die Forderungen von Papst Franziskus aus der Enzyklika „Laudato si“ aufnimmt. Ein streitbares Buch für alle Christen, die sich gesellschaftlich engagieren. Im Internet hat es als durchschnittliche Kundenbewertung fünf von fünf Sternen erhalten. Wie und wo haben Sie angesichts Ihres Lebens im engen Korsett der Terminkalender eigentlich die Zeit gefunden, es zu schreiben?
Zimmer: Mir kam zugute, dass ich der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ angehöre, die sich mit den im Buch angesprochenen Themen befasst. In den verlängerten Osterferien habe ich mich dann eisern hingesetzt und meine Gedanken in vier Wochen zu Papier gebracht.

Frankfurt-Live: Soweit zum heimischen Terrain. Jetzt reisen wir mal in die große weite Welt. Da strauchelt man schon sehr schnell über drei Stolpersteine: Zar Putin, Sultan Erdogan und ganz aktuell der Brexit. Beginnen wir mit Putin. Wie ist Ihre Einschätzung seiner (Un-)Taten?
Zimmer: Dazu gibt es zwei Aspekte: Die Annektion der Krim und die Infiltration der Ostukraine durch russische Truppen zeigt, dass Russland auf der militärischen Route fährt. Deshalb sind Sanktionen gegen das Land richtig und auch die Insistierung auf das Minsker Abkommen muss bleiben. Gleichzeitig, und das macht die Sache komplizierter als sie eh schon ist, müssen wir aufpassen, Putin nicht zu sehr zu schwächen. Warum? Es könnte dann zu einer Destabilisierung der dortigen Herrschaftsstrukturen mit nicht mehr kalkulierbaren Folgen kommen.

Frankfurt-Live: An den Gestaden des Schwarzen Meeres sieht man auch an anderer Stelle sinnbildlich schwarz, wenn man nämlich sein Augenmerk auf den türkischen Präsidenten Erdogan richtet. Um nur einen Kritikpunkt herauszugreifen: Warum ziehen wir unsere Truppen an der syrischen Grenze nicht einfach ab, nachdem Erdogan weder Abgeordnete und sogar noch einen Staatssekretär den Besuch unserer Soldaten, die dort ihren Kopf für die Türkei hinhalten, verboten hat?
Zimmer: Darüber ärgert sich der Bundestag in der Tat parteiübergreifend. Das geht gar nicht, um mit den Worten unserer Bundeskanzlerin zu sprechen, dass der Bundestag sagt, o.k., wir helfen dem Natopartner Türkei, und dann lässt man die Abgeordneten, die dies beschlossen haben, nicht zu einem Truppenbesuch hin. Darüber haben wir natürlich im Bundestag beraten. Wir werden jetzt erneut eine Gruppe von Parlamentariern zum Besuch dort anmelden, und wenn wir uns wieder eine Absage einhandeln, ziehen wir meiner Einschätzung nach unsere Truppen ab. Auch der Groll Erdogans darüber, dass der Bundestagstag das Abschlachten der Armenier während des 1. Weltkriegs als Völkermord bezeichnet hat, kann nicht als Entschuldigung geltend gemacht werden. So „ganz nebenbei“ gesagt kostet das Engagement unserer Bundeswehr dort auch eine schöne Stange Geld.

Frankfurt-Live: Bliebe noch der Brexit.
Zimmer: Hier liegt das Gesetz des Handelns nicht bei uns! Die Briten, und das liegt in ihrem eigenen Interesse, sollten schnell handeln, um klare Verhältnisse zu schaffen. Denn die ersten Arbeitsplätze wandern bereits ab. Schaden ist also bereits entstanden. Solange das Unterhaus aber den Austritt aus der EU nicht offiziell beantragt und beschließt, ist Großbritannien formell weiterhin Mitglied der EU. Sind die Briten allerdings mal draußen, sind sie meiner Ansicht nach für immer oder zumindest für sehr lange Zeit weg vom europäischen Fenster. Ich bedaure das sehr, aber es liegt im Wesen von Demokratien, auch einmal nur schwer verständliche Entscheidungen treffen zu können.

Frankfurt-Live: Wir könnten jetzt noch eine Weile weitermachen, Stichwort Bankenkrise in Italien mit 360 Milliarden Euro (!) fauler Kredite, Donald Trump, Flüchtlings- und Integrationsprobleme, radikaler Islam mit seinen unfassbaren Gräueltaten weltweit und dem Dauerbrenner Griechenland, das seine Finanzsituation einfach nicht in den Griff bekommt; aber das heben wir uns für das nächste Sommergespräch auf, damit Ihre parlamentarische Sommerpause nicht noch länger vom Schatten des politischen Alltags und diesem Interview getrübt wird. Vielen Dank dafür, dass Sie sich Zeit für das Gespräch genommen haben.
Zimmer: Auch ich bedanke mich, möchte aber noch, um zu zeigen, dass wir ernste Themen manchmal auch ganz entspannt angehen, einen Vers zum Thema Griechenland zitieren, den mir eine Kollegin kürzlich gespielt seufzend vorgedichtet hat: „Die Griechen dort am Mittelmeer, haben keine Mittel mehr.“

Frankfurt-Live: Da hat sie Recht!

Das Gespräch führte Frankfurt-Live-Redakteur Norbert Dörholt