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Letzte Aktualisierung: 23.04.2024

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Turandot und der Wettergott in Bregenz

von  Miterlebt von Karl-Heinz Stier und Ingeborg Fischer

(31.07.2015)  Meist ist Petrus den Besuchern der Bregenzer Festspiele zum Glück hold. Die sommerlichen Spätabend-Veranstaltungen auf der Seebühne werden zum Erlebnis, das meist lange in Erinnerung bleibt. Doch diesmal war der Wettergott den Gästen bei Puccinis Turandot nicht wohlgesonnen – zumindest bei der zweiten Vorstellung, zu der wir diesmal das Vergnügen hatten, Gast zu sein, öffnete der Himmel seine Schleusen. Begleitet von Blitz und Donner goss es vom Himmel, was das Zeug hielt.


Publikum im Regen
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Es gab kein Erbarmen mit den Sängern und Sängerinnen sowie den anderen Akteuren auf der Drehbühne, die ihre Tremoli in die Seenacht hinausschmetterten oder mit den Säbeln mit-und gegeneinander kämpften, keine Nachsicht mit den Fernsehanstalten – allen voran 3Sat - , das live oder in Aufzeichnungen über dieses Ereignis berichten (wollte).

Strömender Regen verzögerte bereits den für 21.15 Uhr geplanten Beginn der Aufführung. Geduldig warteten die Besucher in den Hallen des Festspielhauses, während draußen im Freien der Verkauf von Pelerinen und Umhängen boomte. Selbst Damen in festlichen Roben überdeckten ihr kostbares Outfit mit durchsichtigem Regenschutz. Die Festverantwortlichen waren sich bis vor Spielbeginn noch nicht darüber im Klaren, ob sie die Veranstaltung starten sollten. „Wir wollen uns noch bei den Wetterämtern erkundigen, wie die Sachlage ist, so die Dame bei der Durchsage. So verzögerte sich der Anfang von Minute zu Minute, bis sich nach 20 Minuten Verspätung die Türen zu den 7000 Sitzplätzen öffneten und die Besucher bei prasselndem Dauerregen, bewaffnet mit Kapuzen, Anoraks und Umhängen, ihre mittlerweile nassen Sitzplätze aufsuchen konnten.

Doch dann – fast 30 Minuten nach dem vorgesehenen Beginn - war es so weit: The Show must go on.


Seebühne mit Chinesischer Mauer
Foto: Karl Forster
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Das Bühnenbild war atemberaubend: Drachenähnlich schlängelte sich ein 72 Meter breites Gebilde, der chinesischen Mauer nachempfunden, um und auf der Seebühne. Sie ist das Herzstück der Kulisse – 27 Meter hoch, 72 Meter breit und 335 Tonnen schwer. Aus dem Wasser schauten die berühmten Terrakotta-Krieger, 205 an der Zahl, - bekannt aus dem Grab des chinesischen Kaisers Qin Shi Huangdi - die Zuschauer grimmig an. Dann wird es dramatisch. Zur Tourandot-Ouvertüre stürzte ein Teil der mächtigen Mauer plötzlich ein und ein großes Loch klaffte. War das zu diesem frühen Zeitpunkt von Marco Arturo Marelli, der wieder einmal großartig für Inszenierung und Bühnenbild verantwortlich war, der Hinweis auf den Sieg der Liebe über Kälte und Grausamkeit?

Der Bühne vorgelagert konnte man einen kärglichen Raum erkennen - ein Hinweis auf Puccinis Krankenlager, wo er kurz vor seinem Tod die Melodien zu seiner Oper schuf. Calaf – Giacomo? Man konnte rätseln, wer wen dort inspirierte.


Calaf Turandot Altoum
Foto: Karl Forster
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Die Geschichte von Turandot und dem Prinzen Calaf ist einigermaßen verwickelt. Die chinesische Prinzessin möchte keinem Mann angehören, und weil sie sich für ihre vergewaltigte Ahnin an den Männern rächen will, lässt sie jeden Freier, der ihre 3 Rätsel nicht lösen kann, köpfen.

Unzählige Bewerber, die um die Hand Turandots warben, mussten schon ihr Leben lassen. Auch ein persischer Prinz wird unter dem Gejohle des Volkes zum Richtplatz geführt. Der unbekannte Prinz Calaf sieht die grausame Szene und auch den Befehl der Prinzessin, dem Perser den Kopf abzuschlagen. Trotzdem verliebt er sich unsterblich in die schöne eiskalte Frau. Calaf trifft außerdem seinen verschollenen Vater Timur am chinesischen Königshof wieder. Der alte Mann wird begleitet von der Sklavin Liu, die sich rührend um ihn kümmert. Vor langer Zeit hat sich Liu in Calaf verliebt, als dieser ihr zugelächelt hat. Trotz vieler Warnungen aus Turandots Hofstaat und Flehen von Liu und Timur schlägt Calaf den Gong und bekundet damit, dass er um Turandot wirbt und die Rätsel lösen will, was ihm dann auch gelingt. Er möchte jedoch das Herz der Turandot gewinnen und gibt ihr eine Chance. Wenn sie seinen Namen erraten kann, wäre auch er ihrer Unbarmherzigkeit ausgeliefert und des Todes. Weil Turandot den Namen herausfinden will, droht man Liu und Timur Folter an. Liu versichert, nur sie allein kenne den Namen des Unbekannten, weil sie den alten Mann schützen will. Sie erzählt Turandot von ihrer wahren Liebe zu dem Prinzen und bringt sich dann um, weil sie befürchtet, unter der Folter den Namen zu verraten. „Nessun dorma“ – keiner schlafe. Das befiehlt Turandot für die Nacht dem Volk und schickt ihre Späher aus. Sie findet den Namen nicht heraus. Aber trotzdem gibt sie sich zum Schluss in Leidenschaft Prinz Calaf hin. Ob Puccini dieses „Happy end“ wirklich gewollt hat? Er hat die Oper nicht zu Ende schreiben können, weil er verstorben ist.


Feuer-Tänzer und Schwerkämpfer
Foto: Karl Forster
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Wir haben Bühnenbild, Sänger, Akrobaten, Schwertkämpfer und Feuertänzer genossen trotz des trommelnden Regens, Blitz und Donner. Die Besetzung bei dieser zweiten Aufführung war in der Tat exzellent. Mlada Khudoley als Turandot hatte im ersten Akt ja noch keinen großen Auftritt, und auch Riccardo Massi als Calaf hätte erst im dritten Akt sein „Nessun dorma“—den Ohrwurm- geschmettert. Auch Turandots große Arie konnten wir nicht erleben und das rührende Liebesbekenntnis von Liu (Guanqun Yu) blieb uns auch verwehrt. Denn kurz nach Beginn des zweiten Aktes, als Prinz Calaf den Gong schlägt, wurde die Vorstellung abgebrochen.


Calaf schlägt den Gong
Foto: Karl Forster
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Das war schade. Das Publikum begleite dies mit unüberhörbaren Buhrufen und Pfiffen. Aber die Entscheidung war nachvollziehbar und vernünftig. Zu groß waren die Gefährdungen für die Akteure durch die Nässe auf der Bühne. Und auch das Publikum war mittlerweile trotz Regenschutz völlig durchnässt. Ein kleinerer Teil der 7000 Zuschauer konnte nach 25 Minuten im Festsaal weiter zuhören. Wir haben es nicht getan. Zu nass waren Kopf, Schultern, Beine und Füße, und so verzichteten wir auf eine sehr geschmälerte Fortsetzung im Festspielhaus – mit Sängern und Orchester.

Die Fernsehleute hatten allerdings schnell reagiert, war es doch von 3SAT eine Live-Übertragung. Wer nach dem unvermeidlichen Abbruch trocken und gemütlich vor dem Bildschirm zu Hause saß, bekam die Fortsetzung von Turandot als Aufzeichnung der Premierenvorstellung ab Gongschlag und leuchtender Scheibe auf der Seebühne weiter frei Haus geliefert. Freilich in der anderen Besetzung, aber das war für den TV-Zuschauer unerheblich.

Wir hätten uns gewünscht, die Höhepunkte im letzten Akt mit dem Ensemble dieses Abends erleben zu können. Ping (Andre Schuen), Pang (Taylan Reinhard) und Pong (Cosmin Ifrim), die drei Akteure, die an Figuren der italienischen Commedia dell`arte erinnerten, hatten wir schon gehört und waren bis zu diesem Zeitpunkt sehr beeindruckt.


Ping Pang Pong
Foto: Karl Forster
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Die Wiener Symphoniker unter Leitung von Paolo Carignani führten die Sängerinnen und Sänger trotz widrigster Umstände vom Festspielhaus aus mit viel Einfühlungsvermögen zu Bestleistungen.

Mögen die Besucher bei den kommenden Aufführungen am Seeufer von Bregenz noch schöne Sommerabende erleben und der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka sei gewünscht - sie war zuvor Operndirektorin der Berliner Staatsoper und ab 2009 Intendantin der Grazer Oper - weiterhin ein so glückliches Händchen bei der Auswahl aus der Opernliteratur zu haben.

Weitere Vorstellungen bis zum 23. August. Infos unter www.bregenzerfestspiele.com

P.S.: Spät nachts im Hotelzimmer haben wir versucht, uns mit Pavarottis Interpretation von „Nessun dorma“ auf YouTube zu trösten. Es ist nicht gelungen, denn... live is live!