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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Fluchtträume und Gegenwelten

Schauspiel Frankfurt legt neues Programm vor

von von Karl-Heinz Stier

(02.05.2015)  Viele der neuen Stücke, die Intendant Oliver Reese vom Schauspiel Frankfurt in seinem Spielplan für 2015/16 ankündigte, deuten auf eine Trendwende hin. Von den 27 Neuproduktionen, darunter acht Uraufführungen sowie 34 Wiederaufnahmen, befassen sich nicht wenige mit virtuellen Realitäten und fiktiven Welten. Sie bespiegeln Chancen und Gefahren zukünftiger Entwicklungen und befragen kritisch den durch die Digitalisierung hervorgerufenen Wertewandel. „ Im Zeitalter der Digitalisierung bekommt die Wirkkraft der Fantasien und Möglichkeiten eine ganz neue Dimension und politische Sprengkraft“, so Reese.


Intendant Oliver Reese mit Team bei der Pressekonferenz
Foto: Schauspiel Frankfurt
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Beispielhaft dafür sei der belgische Künstler Hans Op de Beeck, der gattungsübergreifend arbeite und virtuos die unterschiedlichen künstlerischen Genres bediene. In seinem ersten, eigens für Frankfurt entstandenen Bühnenstück „Die Leere nach dem Fest“ (Uraufführung am 19. September) entwirft er analoge und digitale Fluchträume. Die Kammerspieleröffnung setzt er selbst in Szene.

Oder zwei Stücke über die Justiz. Ein Lustspiel aus dem Jahre 1811 („Der zerbrochene Krug“ von Kleist) und ein neuer Theatertext von 2014 („Terror“ von Ferdinand von Schirach). Zwei Stücke im Doppelpack (Premiere am 2. und Uraufführung am 3.Oktober), die nach dem Vertrauensverhältnis zwischen modernem Staat und seinen Bewohnern fragen. Zwei Autoren, die sowohl um die Zerbrechlichkeit dieses Verhältnis wissen, wie auch darum, was bei einem tatsächlichem Bruch auf dem Spiel steht.

Moderne Weltverweigerer tauchen heutzutage unter anderem in virtuelle Sphären ab. Dort bilden sich gelegentlich lose Gruppierungen, die auf die Sachzwänge der Realität mit der Erfindung von Gegen– und Traumwelten antworten. Oder mit der Erfindung eines Mythos, einer Untergrundaktion namens „George Kaplan“ – wie es Frederic Sonntag tut (deutschsprachige Erstaufführung am 5. Dezember). Und auch in „Die Netzwelt“ von Jennifer Haley geht es um die Frage, welche Rückwirkungen virtuelle Fantasien auf das reale Leben haben oder wie beherrscht die neue Technologie das menschliche Leben und lässt dem Individuum eine andere Identität erleben. (Premiere März 2016).

Freilich die schlechte Nachricht für alle Aussteiger ist: es gibt kein Entkommen von der Realität. Fluchträume, die geschaffen werden, gehören als solche zu der Wirklichkeit und gestalten sie mit, hinterlassen Spuren, die das Potential für eine andere Zukunft sind „O brave new world“ ruft Prosperos Tochter am Ende von Shakespeares „Sturm“ (Premiere April 2016) mit Blick auf die Wirklichkeit.

Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ (Premiere am 20.November), heute noch Inbegriff und Vorbild vieler Künstler und Autoren, wird bevölkert von künstlich optimierten Menschen, die frei von Bedürfnissen- weder Krankheit noch Alter kennen oder Anthony Burgess vermittelt in „Glockwork Orange“, dass dem Menschen zwangsweise zu einem besseren Leben verholfen wird, denn zu einer Veränderung zum Besseren seien sie von sich aus nicht fähig.

Auf die Frage, wie das Leben eigentlich beschaffen sein sollte, damit es nach den Regeln der Forschung als ein glückliches bezeichnet werden kann, beschäftigt sich Felicia Zeller in ihrem Auftragswerk „Eine überflüssige Frau“ (Uraufführung im März 2016), ein Stück, das von der Selbstreflexion einer alternden Chefredakteurin handelt und klischierte Rollenbilder mit Sprachwitz karikiert. Erstmals auf der Bühne „Der alte Affe Angst“ von Oskar Roehler, ein ausgezeichneter Schreiber und Texter (Uraufführung im April 2016).

Das Schauspiel Frankfurt setzt auch seine erfolgreiche Zusammenarbeit mit renommierten Regisseuren fort. So Stephanie Mohr mit „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“(Uraufführung 17. September), Michael Thalheimer inszeniert „Penthesilea“(4. Dezember), Stephan Krimmig „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ (8. November), Sebastian Hartmanns „Der Revisor“ (Februar 2016) und Andreas Kriegenburgs „Der Sturm“ (April 2016).

Es gibt auch wieder viele theaterpädagogische Projekte für Jugendliche. Chris Weinheimer und Martina Droste erarbeiten mit Flüchtlingen und Jugendclubmitgliedern „Frankfurter Babel“, eine Inszenierung, die sich mit Grenzen, Visionen und Machbarkeitsfantasien auseinandersetzt. Und es gibt mit der Wiederaufnahme von Otfried Preußlers „Krabat“ in der Regie von Karin Drechsel wieder ein Weihnachtsstück.

Im Jugendclub treffen sich pro Spielzeit rund 280 Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren für intensive Theaterprojekte, abendliche Schauspielertrainings, kreative Workshops und Gespräche mit Theatermachern.

Dass Oliver Reese mit seinen Theaterprojekten richtig liegt, beweisen seine Besucherzahlen. Erstmals registriert er im nun auslaufenden Spieljahr eine durchschnittliche Auslastung von 90, 2 Prozent, im Februar sogar 94 Prozent. Obwohl weniger Vorstellungen als in der vergangenen Saison gespielt wurden, stieg die Anzahl der Besucher auf knapp 125000 an. Auch die Abo-Reihen trugen zu einer Rekordmarke bei. Das Schauspiel hat nun 6874 Abonnenten und damit 155 Prozent mehr als zu Beginn der Intendanz von Oliver Reese im Jahre 2009. Jan Fischer, künstlerischer Betriebsdirektor und Stellvertreter des Intendanten: „Unsere Besucher, die sich immer wieder auch auf ungewöhnliche Ästhetiken und neue Regiehandschriften einlassen, sei an dieser Stelle mal herzlich gedankt“.