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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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In den Frühling wandern

Am Kaiserstuhl sorgen Wärmeterrassen für die erste bunte Färbung

von Von Karin Willen

(31.03.2015)  Die Süßkirsche reckt sich zuerst, wenn dann der Apfel blüht, ist es so weit: Der Frühling hat Einzug gehalten. In Deutschland kommt er als erstes am Kaiserstuhl an. Früh locken hier die warmen Winde die jungen Triebe zwischen Freiburg und Colmar aus dem Boden, die durch die Burgundische Pforte die sonnenverwöhnte Region im Regenschatten der Vogesen umwehen. Denn in Deutschland beginnt die Sonne, das blaue Band des Frühlings im äußersten Südwesten zu knüpfen, weckt dann die Natur vom Oberrhein hinauf ins Rhein-Main-Gebiet, um dann nordwärts ihre Kraft zu entfalten. Mit einer Tagesgeschwindigkeit von etwa 40 Kilometer, wie Klimaforscher beobachtet haben.


Kirschblüten mit Aussicht am Kaiserstuhl
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Wenn sich am Kaiserstuhl die Taleinschnitte zwischen den Rebhügeln, die Gärten um die Orte herum und das Vorland zur Rheinebene in einem blendend weißen bis zartrosa Gewoge Hunderter von Kirschbäumen verwandeln, freut man sich im Rhein-Main-Gebiet noch über Schneeglöckchen und Buschwindröschen. Manch prächtiger Hochstamm findet sich auch direkt bei den Reben, als Zeuge einer Zeit, in der noch jeder Winzer laut einem klösterlichen Erlass jedes Jahr mindestens einen Kirsch- und einen Nussbaum zu pflanzen hatte.

Ein bisschen hilft man den Frühlingsgefühlen heute aber auch nach am Kaiserstuhl. Aber anders als auf der Bodensee-Insel Mainau, die mit Tausenden von Tulpen eine bunte Frühlingsallee bildet. Auch anders als andernorts, wo allenfalls gelber Löwenzahn die fruchtbare Jahreszeit am Straßenrand anzeigt. Am Kaiserstuhl säumen hunderte von Narzissen so manche Landstraße. Noch schöner allerdings sind die Resultate früherer menschlicher Naturdekoration. Kleine Traubenhyazinthen, die im 16. Jahrhundert zusammen mit Tulpen und Narzissen in unsere Breitengrade kamen, haben sich seit Langem weiter in Obst- und Weingärten, entlang von Bahn- und Straßenböschungen und auf Trockenrasen ausgebreitet. Sie setzen intensiv blaue Tupfer ins Grün der Wiesen und zwischen das Gelb des Löwenzahns, besonders schön auf dem Henkenberg bei Oberrotweil, aber auch am Eckartsberg in Breisach zu bewundern.


Kirschen in den Kaiserstühler Rebhängen
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Den Löwenzahn schätzen die Kaiserstühler allerdings weniger wegen seiner sattgelben Blume, als wegen seiner weißen Wurzelstangen. Noch bevor der Spargel die Speisekarten erobert, hat sich der milde unterirdische Teil des bitteren Krauts gemeinsam mit dem Bärlauch, der vor allem die Auwälder mit seinem leichten Knoblaucharoma füllt, längst den Ehrenplatz gesichert. Löwenzahnsalat, führt ebenso oft die Karte an wie ein Flammekuchen oder Süppchen mit Bärlauch. Sie sind die kulinarischen Frühlingsboten zwischen Breisach und Endingen. Nichts schöner als in der historischen Mittelstadt von Vogtsburg-Burkheim den ersten Bärlauchflammekuchen unter fast sengenden Sonnenstrahlen zu essen und dazu ein Glas des Weines trinken, von dem es heißt, er sei sonnenverwöhnt. Warum eigentlich?


Bärlauch-Flammekuchen in der Frühlingssonne in Burkheim
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Die warmen Südwestwinde treffen über die Burgundische Pforte zwischen dem Schweizer Jura und den Vogesen im Oberrheingraben auf einen Vulkan aus der Kreidezeit vor dem Schwarzwald, auf den die Winde in weit zurück liegenden Jahrtausenden Löss geweht hatten, der heute ein bis zu 30 Meter hoch aufgetürmter fruchtbarer Boden über dem Vulkangestein ist. Das hufeisenförmige Kleingebirge, das sich zum Rhein hin öffnet, profitiert zudem vom Vogesenfön. Zusammen mit dem Wärmerückstrahlvermögen des mineralischen und wasserspeichernden Lösses verdankt der Kaiserstuhl diesen Klimabedingungen die in Deutschland einzigartig hohen Temperaturen und Sonnenscheindauer.

Die Römer wussten diese optimalen Voraussetzungen für gute Weine ihrerzeit zu nutzen, möglicherweise hatten aber schon die Kelten vorher Rebensaft gekeltert. Terrassiert wurde der Lössboden mindestens seit die Franken im 8. Jahrhundert hier wirtschafteten, auch wenn die Stufen im Berg bis zur Rebflurbereinigung in den 70er Jahren meist nur bis zu drei Rebreihen klein blieben. Der Mensch formte die Landschaft noch auf eine andere Weise und schaffte dadurch südländische Enklaven für die Tier- und Pflanzenwelt. Jahrhundertelanges Gehen auf denselben Pfaden, Fahren mit Fuhrwerken und Viehtreiben schnitten zusammen mit dem abfließenden Regenwasser die Gassen tief ein.


Bienenfresser-Paradies: Lösshohlwege am Kaiserstuhl
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In den so entstandenen schattigen Lösshohlwegen leben Wildbienen, weswegen der papageienbunte Bienenfressers hier neuerdings mit Vorliebe wieder brütet. Auch die grün schillernde Smaragdeidechse raschelt durchs Gesträuch, und die zartgrüne Gottesanbeterin verlebt hier ihre Sommer. Hopfen, Waldrebe, Berberitze und Pfaffenhütchen kommen in den Gebüschen vor, an offenen Böschungen wachsen großblütige Kaiserstuhlanemonen, Sonnenröschen oder Kugelblumen. Doch bis sie voll erblühen, ist schon bald Sommer. Erst einmal naht die legendäre Zeit der Orchideen am Kaiserstuhl. Sie beginnt im Ende März, Anfang April mit Knabenkraut und Ragwurz, bis dann im Mai mehr als 34 Arten im Liliental bei Ihringen und am Badberg nicht allein die etwa 700 Schmetterlingsarten mit ihren Düften und Farben betören.

Wandern und Kaiserlich genießen
Die Orchideenvorkommen und die Lösshohlwege und sind eingebaut in das südbadische Wanderwegenetz. Von Breisach führt ein Knabenkraut-Pfad über die Magerwiesen des Lilientals bis nach Bötzingen. Rund um Bickensohl gruppieren sich einige der schönsten hohlen Gassen zu einem 7 Kilometer langen Rundweg. Im nächsten Ort, Achkarren, presst Ingo Fessinger mit einer eigens dafür entwickelten Mühle das kostbare Walnussöl, seine Frau erfindet derweil neue Marmeladen. Ihr Renner ist eine Birnenmarmelade, die sie mit Earl Grey Tee zart aromatisiert hat. Beide haben mit anderen Erzeugern das Regionalqualitätszeichen "Kaiserlich genießen" gegründet, das nur erhält, wer besonders hochwertige regionale Produkte anbietet. Etwa die Walnusstorte des Spezialitätenbäckers Weber aus Bischoffingen oder Vulkanbrote aus Breisach, Oberrotweil und Bötzingen.

Den ausführlichen Wanderführer und weitere Informationen gibt es bei Kaiserstuhl-Tuniberg Tourismus e.V., Marktplatz 16, 79206 Breisach, Tel. (07667)940155, www.naturgarten-kaiserstuhl.de/

Fotos: Karin Willen