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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Die Reform verhindert, dafür die Reformation bekommen

Revolution des Glaubens/Zwei spannende Bücher zur Spaltung der Kirche

von Dr. Theodor Kissel

(21.03.2017) An der Wende zwischen Mittelalter und Neuzeit erfasste mit der Reformation eine christliche Erneuerungsbewegung das abendländische Europa, welche die Einheit der römischen Kirche spaltete und die politische Landkarte des frühneuzeitlichen Europa von Grund auf veränderte.

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Diese drei Männer setzten der Katholischen Kirche schwer zu.
Foto: Foto: Südverlag
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Hatte ein schwieriges Amt in der Zeit der Glaubenskriege: Papst Martin V.
Foto: Foto: Südverlag
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Zur dieser epochalen Umbruchszeit, in der die Grundlagen für die Trennung von Kirche und Staat gelegt wurden, sind in den vergangenen Jahren im Konstanzer Südverlag eine Reihe von lesenswerten Büchern erschienen, die die Reformbewegung und einige ihrer maßgeblichen Protagonisten in den Focus nehmen: Konstanz zur Zeit des Konzils (2014), Jan Hus. Auf den Spuren des böhmischen Reformators (2015) und Hieronymus von Prag (2016). Ergänzt werden diese nun durch zwei weitere äußerst lehrreiche und spannend geschriebene Monographien, die diese spannungsgeladene Zeit zwischen Spätmittelalter und Frühe Neuzeit beleuchten.

 

Das erste, hier anzuzeigende Büchlein: John Wyclif, Jan Hus, Martin Luther. Wegbereiter der Reformation aus der Feder von Walter Rügert zeichnet prägnant und kenntnisreich Leben und Wirken dieser drei bedeutenden Reformatoren nach, die – dem Zeitgeist entsprechend– eine grundlegende Reform der Kirche an „Haupt und Gliedern“ anmahnten: Der englische Theologe John Wyclif, der einer Rückbesinnung auf eine volksnahe, nur an der Bibel orientierten und dem urchristlichen Armutsideal verpflichteten Kirche das Wort redete; der streitbare Theologe Jan Hus, der Prunk und Dekadenz der Kirche anprangerte, gegen »die fetten Mönche des Herrn« wetterte und heftige Kritik an der römischen Kurie übte; und der Wittenberger Augustinermönch Martin Luther, der mit seiner Kritik an der Lebensführung der Kirchenoberen eine »Weltrevolution des Glaubens« entfachte, die dank der Erfindung des Buchdrucks im gesamten abendländischen Europa Fuß fassen konnte.

 

Nicht durch seine guten Werke, sondern nur durch den Glauben (»sola fide«) und die göttliche Gnade (»sola gratia«) erlange ein Christ das Seelenheil, predigte Martin Luther. Und: Jeder Gläubige solle selbst in der Bibel lesen, um zu Gott zu finden. Erstmals war der Mensch aufgefordert, in Glaubensfragen ausschließlich seinem eigenen Gewissen zu folgen und nicht mehr klerikalen Dogmen. Das Revolutionäre daran: Betende bedürfen nicht mehr der Vermittlung eines geweihten Priesters, sondern erhalten einen direkten Draht zum lieben Gott. Damit verlor der katholische Klerus das Monopol auf Vermittlung und Deutung der Religion – und der Papst seine Autorität als alleiniges geistliches Oberhaupt des Westens.

 

Das zweite, ebenfalls sehr lesenswerte Büchlein Martin V. Papst der Einheit und der Glaubenskriege von Jürgen Hoeren, befasst sich mit einem Mann, der in dreierlei Hinsicht Geschichte geschrieben hat: 1417 auf dem Konstanzer Konzil zu Stellvertreter Christi auf Erden gewählt, war Martin V., alias Oddo di Colonna, der erste und bislang einzige Papst, der auf deutschem Boden auf den Heiligen Stuhl Petri gehoben wurde. Weitaus bedeutender war diese Papstwahl allerdings deshalb, weil die Christenheit mit diesem geistlichen Oberhirten erstmals seit rund 40 Jahren wieder ein einziges rechtmäßiges, von allen anerkanntes Oberhaupt erhielt – und damit das Abendländische Schisma überwunden wurde. Ein weiteres Novum dieser Papstwahl war auch, dass nicht nur das Kardinalskolleg, sondern auch die weltlichen Vertreter der fünf beteiligten Konzilsnationen ein gewichtiges Wörtchen bei dem Wahlakt mitzureden hatten.

 

Darüber hinaus nimmt Hoeren auch die weitere Entwicklung in den Blick, die wesentlich von einem innerkirchlichen Dualismus zwischen konziliarer Idee und päpstlichem Absolutheitsanspruch geprägt war. Oder anders ausgedrückt: Er geht der Frage nach, wer nach Konstanz bei Kirchenversammlungen das Sagen hatte. Laut Hoeren blieb die konziliare Idee, die aus der besonderen historischen Situation des Abendländischen Schismas heraus erwachsen war und die in Konstanz erstmals zur realen Anwendung kam, auf den beiden Reformkonzilien von Pavia/Siena (1418/1424-1425) und Basel (1431–1449) tonangebend. Noch am 14. Mai 1439 dekretierte die Baseler Synode drei Glaubenswahrheiten (Tres veritates fidei) zu unwiderruflicher Lehrmeinung: Die Hoheit des Konzils über den Papst sowie über jeden Gläubigen und das Verbot einer Konzilsauflösung durch den Papst.

 

Bald zeigte sich jedoch, dass die geistlichen Oberhirten nicht gewillt waren, die Einschränkung ihrer päpstlichen Allgewalt (»potestatis plenitudo«) widerstandslos hinzunehmen. Hatte sich schon unter Martin V. eine gegenläufige Bewegung formiert, setzte die römische Amtskirche unter dessen Nachfolger alles daran, den konziliaren Geist, der in Konstanz aus der Flasche gelassen wurde, wieder einzufangen. Immer energischer traten die Päpste den konziliaren Ansprüchen entgegen, bis schließlich Papst Pius II. (1458 – 1468) die Theorie von der konziliaren Suprematie im Jahr 1459 offiziell für ketzerisch erklärte.

 

Nicht einmal vierzig Jahre nach Konstanz war der status quo ante wiederhergestellt: Das papalistische Prinzip hatte obsiegt, die römischen Bischöfe den Primat des Handelns zurückgewonnen. Fortan bestimmen nun wieder die Päpste, wann ein Konzil einberufen wird – und verhindern so die Durchführung dringend notwendiger Reformen. Und das ist auch der Grund dafür, warum hundert Jahre nach Konstanz ein Augustinermönch namens Martin Luther in Wittenberg die Reformation auslösen und die Kirche in zwei Konfessionen spalten wird. Der Papst hat die Reform verhindert und dafür die Reformation bekommen.

 

Wer verstehen will, wie die katholische Kirche ihr jahrhundertealtes Monopol auf die Köpfe und Herzen der Christen verlor und welcher Anstrengungen es bedurfte, um Religion und Politik als zwei unterschiedliche Bereiche zu betrachten – der findet in den beiden sehr informativ und fesselnd geschriebenen Büchern aus dem Südverlag die passenden Antworten.

 

(Walter Rügert: John Wyclif, Jan Hus, Martin Luther. Wegbereiter der Reformation, Südverlag, Konstanz 2017, 112 S., 16,00 €.

Jürgen Hoeren: Martin V. Papst der Einheit und der Glaubenskriege, Südverlag, Konstanz 2017, 112 S., 16,00 €.

Der Rezensent Theodor Kissel ist promovierter Althistoriker, Sachbuchautor und Wissenschaftsjournalist; er lebt in der Nähe von Mainz.)