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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Die Karten werden wieder gemischt

Impressionen rund um „Carmen“ und die Bregenzer Seebühne

von Karl-Heinz Stier und Ingeborg Fischer

(31.07.2018) Die Premiere im vorigen Jahr war verregnet, was aber der Aufführung von „Carmen“ auf der Seebühne keinen Abbruch tat. Zwar prasselte der Regen eine volle Stunde auf die 7000 Zuschauer auf der Tribüne nieder, aber Carmen, Don José und Escamillo begeisterten trotzdem. Gespannt warten wir auf den diesjährigen Premierenabend – und der konnte angenehmer nicht sein.

Bildergalerie
Die 7 000 Zuschauer-Seebühne der Bregenzer Festspiele
Foto: Karl-Heinz Stier
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Die Hauptdarstellerin Gaelle Aquarez in ihrer Carmen-Rolle
Foto: Karl Forster, Bregenzer Festspiele
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Der Himmel und der Bodensee waren  blitzblau, und sommerlich gekleidete Festspiel-Besucher füllten bei guter Laune nach und nach das Gelände vor der Seebühne, um einen Hugo oder Aperol Spritz zu genießen. Einige Damen  hatten es sich denn doch nicht nehmen lassen, im kleinen Schwarzen,  sogar in langer Abendrobe oder in Blusen im Carmen-Look  zu erscheinen. Eine besonders nette, mutige sehr ältere Dame trug mit großer Anmut ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Girls can do anything“.

Um Festspielluft zu schnuppern waren auch einige Radfahrer, Inline-Skate-Roller oder Spaziergänger gekommen, um ein wenig am Ereignis der zweiten Premiere teilnehmen zu können. Auch eine Gruppe behinderter Menschen in Rollstühlen wurden zum Event geschoben. Es sirrte und schwirrte, summte und brummte rund um den Eingang in froher Erwartung.

Um 21.15 Uhr war es so weit. Die Sonne ging langsam unter, der Abend war dennoch mild, alle Schiffe hatten angelegt und frohgemute Besucher ausgeladen. Das Bühnenbild mit den beiden Armen, die aus dem Wasser ragen mit Karten mischenden Händen, die eine brennende Zigarette halten, von der der Rauch in die Luft steigt, war das Vorspiel für die  die Opernbesucher. Ein Blesshuhn nistete zwischen den überdimensionalen Karten, war  auch  kurz zu  sehen, stieß ein paar empörte Schreie aus und ließ sich ansonsten nicht weiter stören von Gesang, Musik, Stuntmen und Beleuchtung.

Antonio Fogliani mit den Wiener Symphonikern startete mit den ersten Takten der Bizet-Oper. Der  Kinderchor einer Bregenzer Schule erschien auf der Bühne und eröffnete mit seinen fröhlichen Stimmen die Aufführung. In seiner Mitte Lea Gratzer als kleine Carmen – stolz – einsam – zornig!

Das Spiel konnte beginnen. Die Inszenierung von Kasper Holten erscheint im zweiten Jahr noch runder, dynamischer, furioser. Und Gaélle Arquez in der Titelrolle war der absolute Star des Abends. Sie sieht nicht nur fantastisch aus, sondern  beherrscht mit ihrem Mezzosopran die Szene ohne Fehl und Tadel. Carmens Leidenschaft, Freiheitsdrang, erotischen Reiz brachte sie von der Seebühne sofort bis auf die Zuschauerränge.  Ihre Habanera vom „wilden Vogel der Liebe“  im ersten Akt war atemberaubend.

Daniel Johansson als einfacher Soldat Don José, der Carmen verfällt und sie schließlich töten wird, meisterte seine Rolle ebenfalls, auch wenn Carmen-Gaélle alles überstrahlte. Kostas Smoriginas als Escamillo hat dann im zweiten Akt  seinen großen Auftritt mit dem Ohrwurm „Toreador en garde“, und wirkte als die Szene beherrschender Mann durchaus überzeugend - nur stimmlich nicht so ganz.

Eine zarte, berührende Micaéla verkörperte Cristina Pasarolu, die als Botin Don José Grüße seiner Mutter überbringt und auf seine Liebe hofft. Gesanglich war die Partie so fein und vollkommen, wie man es sich nur wünschen kann. Das gesamte Ensemble war in Hochform, die Kulissen verblüfften ein ums andere Mal. Wenn durch  technische Raffinessen die Karten ständig andere Bilder zeigen – sogar den Tod – erahnt man die Zigarettenfabrik, Lillas Pastia, die Schmugglerhöhle und zum Schluss gar die Stierkampfarena.

Erstaunlich ist besonders, wie Antonio Fogliani, der seine Symphoniker im Festspielhaus dirigiert, mit dem Orchester die Verbindung zur Bühne und die Sänger so scheinbar problemlos herstellt und hält. Chapeau!

Wir erlebten zum zweiten Mal eine Carmen-Inszenierung am Seeufer mit hervorragenden Sängerinnen und Sängern, Tänzern, Stuntmen und überraschenden Sequenzen. Allerdings – dass Carmen ertränkt und nicht erstochen wird – daran können wir uns einfach nicht gewöhnen. Dass Gaélle Aquarez in dieser entscheidenden Szene nicht gedoubelt, sondern angetan mit einem prächtigen üppigen, faltenreichen Gewand ins Bodenseewasser gezwungen wird, verlangt ihr wahrlich einiges ab.

Am begeisterten Schlussapplaus konnten wir leider nicht teilnehmen, obwohl wir sehr gerne „Bravo“ gerufen und lang anhaltend geklatscht hätten. Wir hätten sonst unseren letzten zu kurz angesetzten Zug nach Lindau verpasst. Und der Weg zum Bahnsteig ist ohne Aufzug etwas beschwerlich.