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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Buchvorstellung `Das Neue Frankfurt (mit)gestalten`

"Der Kunstdirektor und Kulturpolitiker Fritz Wichert (1878 - 1951)"

von Institut für Stadtgeschichte

(03.04.2018) „Warum hat sich dieses Mannes und seines Wirkens bislang niemand umfassend angenommen", zeigte sich Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig bei der Präsentation der soeben erschienenen Publikation „Das Neue Frankfurt (mit)gestalten. Der Kunstschuldirektor und Kulturpolitiker Fritz Wichert (1878–1951)" von Carina Danzer (inzwischen verheiratete Burck) überrascht.

„Immerhin prägte er nicht nur das heutige Kunstverständnis, sondern auch das Neue Frankfurt maßgeblich mit", erklärte Dr. Hartwig. „Deshalb freue ich mich, dass Frau Danzer diese Lücke nun mit ihrer Darstellung geschlossen hat und zugleich eine umfassende Würdigung des Wirkungsfeldes von Fritz Wichert in Frankfurt vorlegt", fuhr sie fort.

Unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann, der die Kultur im Leben Frankfurts sichtbar machen wollte, erlangte die Kulturpolitik einen neuen, eigenständigen Stellenwert und eine moderne Ausrichtung. Einer der wichtigsten Protagonisten dieser Politik war neben Stadtbaurat Ernst May Dr. Fritz Wichert. Nur zehn Jahre – von 1923 bis 1933 – blieben dem umtriebigen und auf vielen Ebenen tätigen Wichert, um in Frankfurt am Main seine Ideen umzusetzen. Als Leiter der Mannheimer Kunsthalle stand Wichert seit 1909 für eine zeitgemäße Kunstvermittlung und die Förderung der modernen Kunst.

Die Stadt berief den richtungsweisenden Kunsthistoriker als Gründungsdirektor an die Frankfurter Kunstschule und beauftragte ihn mit der Reorganisation des hiesigen Kunstschulwesens. Wichert sollte die kurz zuvor von der Polytechnischen Gesellschaft in städti-sche Trägerschaft übergegangene Kunstgewerbeschule mit der damals gleichfalls von der Stadt übernommenen Städelschule zusammenführen. Mit der von ihm in je eine Abteilung für freie und angewandte Kunst gegliederten Schule und großem Praxisbezug verwirklichte Wichert in Frankfurt den Bauhausgedanken – mit Ausstrahlung in den gesamten südwestdeutschen Raum. Durch die Berufung von Max Beckmann und Willi Baumeister verpflichtete Wichert zudem zwei bedeutende moderne Künstler mit großer Strahlkraft als Lehrer in die Mainmetropole. Wicherts Reform des Unterrichts bildete einen wesentlichen Teil der gesellschaftlich-sozialen wie ästhetischen Reformbemühungen des Neuen Frankfurt. Während seiner Tätigkeit entwickelte sich die Schule zu einer der führenden derartigen Institutionen in Deutschland, die ihre Arbeiten regelmäßig in Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentierte.

Doch Wichert beschränkte sein Engagement nicht auf die Kunstschule, die er in enger Zusammenarbeit mit dem städtischen Hochbauamt zum „Laboratorium und zur Produktionsstätte künstlerischer Ausgestaltung des Neuen Frankfurt" – so Danzer – entwickelte. Daneben bekleidete Wichert eine Fülle an kulturpolitischen Ämtern und gab die Zeitschrift „Das Neue Frankfurt" mit heraus. Zudem leitete er das Frankfurter Denkmalamt als Gegner des Historismus nach streng konservatorischen Grundsätzen, war als Denkmalpfleger für Hessen-Nassau aktiv und bemühte sich in diesem Zusammenhang intensiv um die Akzeptanz zeitgemäßer Denkmalpflege bei der Bevölkerung. Als Kunstwart widmete er sich auch in Frankfurt der Vermittlung zeitgenössischer Kunst und publizierte zu diesem Thema. Zu dem großen Gewicht, das er der Vermittlung beimaß, passt sein Engagement im Kulturbeirat des Südwestdeutschen Rundfunks. „Diese Darstellung ist ein wertvoller Beitrag zur kontextbewussten Erforschung der Vermittlungsfunktion von Kunsthistorikern im 20. Jahrhundert", betonte Herausgeberin Dr. Evelyn Brockhoff, Leitende Direktorin des Instituts für Stadtgechichte und selbst Kunstgeschichtlerin. Und fuhr fort: „Zahlreiche Stationen der Arbeitsbiorafie Wicherts und sein weitverzweigtes Netzwerk konnte Frau Danzer durch ihre Archivrecherchen – auch im Institut für Stadtgeschichte – grundlegend erforschen und darstellen."

Mit der Übernahme der Stadtregierung durch die Nationalsozialisten endete 1933 das wegweisende Wirken Wicherts, der sich für die von den neuen Machthabern geächtete moderne Kunst und Avantgarde der Weimarer Republik eingesetzt hatte, abrupt. Durch die Gleichschaltung der Kunstschule schon im März 1933 verlor Wichert sein Amt als Direktor. Auch seine Funktionen als Stadtkunstwart und Bezirkskonservator konnte er nicht weiter wahrnehmen. Verzweifelt kämpfte er um seinen Ruf und in einem Dienststrafverfahren mit abstrusen Anklagepunkten um seine Pensionsansprüche. Letztlich wurde Wichert – bei Wahung seiner Versorgungsansprüche – vorzeitig in den Ruhestand versetzt. So zog der Machtwchsel „das frühzeitige Ende seiner gesamten beruflichen Laufbahn im Kultursektor nach sich", wie Danzer schreibt.

Anders als seine zweite Ehefrau – einer Engländerin jüdischer Abstammung, die 1934 mit den drei gemeinsamen Töchtern nach Großbritannien emigrierte –, blieb Wichert in der inneren Emigration in Deutschland. Er kehrte auf den Wicherthof in Kampen auf Sylt zurück, wo er von 1946 bis 1948 als Bürgermeister amtierte und 1951 starb.

Die Publikation basiert auf der 2011 mit dem Johann Philipp von Bethmann-Studienpreis ausgezeichneten Dissertation von Carina Danzer, die nun die Frankfurter Historische Kommission in Verbindung mit der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V. und dem Institut für Stadtgeschichte mit geringfügigen Änderungen als Band 64 der „Studien zur Frankfurter Geschichte" veröffentlicht. Das 360seitige, bebilderte Buch ist beim Societäts-Verlag, Frankfurt am Main, erschienen und kostet 30,00 € (ISBN 978-3-95542-284-4). Es ist im Institut für Stadtgeschichte sowie im Buchhandel erhältlich.

Carina Danzer: Das Neue Frankfurt (mit)gestalten. Der Kunstschuldirektor und Kulturpolitiker Fritz Wichert (1878–1951), Studien zur Frankfurter Geschichte, Bd. 64
Hg. von Evelyn Brockhoff im Auftrag der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e. V., in Verbindung mit der Frankfurter Historischen Kommission und dem Institut für Stadtgeschichte