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Letzte Aktualisierung: 19.04.2024

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Buchautor und `Zeit`-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo lebt gern in Deutschland

von Dominik Kuhn

(19.02.2018) Giovanni di Lorenzo (58), Chefredakteur der „Zeit“, Buchautor („Erklär mir Italien!“) und Talkshow-Moderator („3 nach 9“), war in der Hit Radio-Sendung zu Gast. Im Gespräch mit FFH-Moderatorin Silvia Stenger sprach der italienisch-deutsche Journalist über die Unterschiede zwischen Italien und Deutschland („Deutsche sind sehr viel romantischer als Italiener“, „In Italien fehlt der Gemeinsinn“), sagte, „ich lebe sehr gerne in Deutschland“.

Bei der Fußball-WM, an der Italien nicht teilnimmt, drückt er Deutschland die Daumen, betonte bei FFH aber auch: „Die erste Fußballmannschaft verrät man nie.“

Giovanni di Lorenzo wurde in Stockholm (Schweden) geboren, wuchs in Rimini und Rom auf, besuchte dort die „Deutsche Schule“. Als er elf Jahre alt war, kam Giovanni di Lorenzo nach Hannover. Nach dem Abitur studierte er in München Kommunikationswissenschaften, Politologie sowie Neuere und neueste Geschichte. Er moderierte erstmals 1984 fürs Fernsehen, seit 1989 die Talkshow „3 nach 9“. Seit 2004 ist er Chefredakteur der „Zeit“ und einer von zwei Herausgebern des „Tagesspiegel“ (Berlin). Im November 2017 veröffentlichte di Lorenzo mit dem italienischen Enthüllungs-Journalisten Roberto Saviano (38; „Gomorrha“) das Buch „Erklär mir Italien! Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt?“ Im FFH-Gespräch sagte Giovanni di Lorenzo: „Jede große Liebe lebt von den Widersprüchen und dem Angezogen sein und wieder abgestoßen werden. Das ist auch bei Italien so. Das Schlimme ist, Roberto ist keine 40 Jahre alt und als er Mitte 20 war, hat er das Buch geschrieben und muss seitdem schlimmer leben, als jeder gesuchte Mafia-Verbrecher. Das ist sehr bedrückend und bedrückend ist auch, wie er in Italien angefeindet wird. Geradezu gespenstisch war es, bei den Interviews streng bewacht zu werden. Er war erfolgreich: Alle die er mit Klarnamen in seinem Buch angeklagt hat, sind hinter Gittern. Hätte er das Buch als Roman deklariert, wäre er heute ein freier Mann.“

Bei Hit Radio FFH sagte Giovanni di Lorenzo: „Die Liebe der Deutschen zu Italien ist ja unkaputtbar. So romantisch, so leicht, so schön. Das ist aber vor allem so, wenn man Ferien in Italien macht. Ansonsten ist es ein Land mit enorm vielen Problemen und Widersprüchen.“ Di Lorenzo weiter: „Das Essen ist zu Recht so wichtig. Das hat mich tief geprägt. Ich habe noch die Ausläufer der Großfamilie mitbekommen. Zum Einen ist man nicht dem Irrsinn der eigenen Eltern pausenlos ausgesetzt und es gab zwei Mal am Tag diese wunderbaren Mahlzeiten. Jeweils drei Gänge, das war sehr schön. Geblieben ist: Wenn man pappsatt vom Mittagessen kommt und es sich auf der Liege am Strand gemütlich macht, freut man sich bereits aufs Abendessen.“

Als Giovanni di Lorenzo elf Jahre alt war, kam er nach Deutschland. Im FFH-Gespräch sagte er: „Am Anfang war ich sehr schlecht in der Schule, aber am Ende hat mich der Ehrgeiz gepackt, weil ich merkte, ich habe niemanden, niemand hilft mir, ich habe nur die Sprache. Und dann habe ich kurz vor dem Abitur ein Praktikum bei einer Zeitung machen dürfen und als ich das erlebt habe, wusste ich, das ist meine Berufung. Eigentlich wollte ich ja Manager oder Psychoanalytiker werden. Aber als ich mit meinem schrottreifen Fiat an dem Abend nach Hause fuhr, wusste ich, ich will nie wieder etwas anderes machen. Es war eine Boulevardzeitung, aber das war eine gute Schule: Sich verständlich ausdrücken war erst mal das Wichtige, es ist etwas, was lebenslang ein Thema bleibt. Leser dürfen sich nicht ausgeschlossen fühlen. Das ist ganz furchtbar. Die Politiker, nach denen sich heute so viele sehnen, wie Helmut Schmidt zum Beispiel, die hatten das Talent, als Intellektuelle so zu den Leuten zu reden, dass sie verstanden wurden. Dieses Talent, auf Menschen zuzugehen und sie mit Worten zu erreichen, das fehlt. Die großen Redner sind rar geworden.“

Bei FFH sagte Giovanni di Lorenzo: „Italiener sind nicht besonders romantisch, sie sind sehr pragmatisch. Sie setzen etwas ein, um etwas zu erreichen. Die Deutschen sind sehr viel romantischer als die Italiener.“ Di Lorenzo weiter: „Italiener respektieren die Deutschen sehr, haben große Achtung. Aber die bedingungslose Liebe, die die Deutschen gegenüber Italien empfinden, die gibt es so in Italien nicht. Da ist eher Furcht und Skepsis gegenüber Deutschland. In Italien fehlt der Gemeinsinn. Das ist eine fantastische Eigenschaft in Deutschland, nicht nur an sich und die Familie zu denken.“

 

„Ich lebe sehr gerne in Deutschland“, sagte Giovanni di Lorenzo bei FFH: „Ich wundere mich manchmal auch, wie wenig Wertschätzung viele Menschen für das haben, was hier in Deutschland erreicht worden ist. Nach furchtbaren Verbrechen und Irrungen. Ein Land, das vieles hat, um das uns andere beneiden. Das sind zerbrechliche Errungenschaften, dafür braucht es Achtsamkeit.“

Im FFH-Talk erzählte di Lorenzo: „Meine Mutter hat meinen Vater im Zug nach Stockholm kennengelernt. Sie fand im Schlafwagen ihr Ticket nicht mehr und musste sich einen Sitzplatz suchen. Mein Vater half ihr mit dem Koffer. Und dann kamen sie ins Gespräch. Meine Mutter, die ja Ostpreußin ist, hatte beim Abschied die glänzende Idee, meinem Vater anzubieten, wenn er mal Nudeln essen will, dann könne er zu ihr nach Stockholm kommen. Sie hatte aber noch nie in ihrem Leben Nudeln gekocht. Das erste Essen muss das Grauen gewesen sein. Mein Vater war so jung, dass sie sich in einem damaligen Heiratsparadies, in Schottland, vermählen mussten, weil er minderjährig war.“

Die Fußball-WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli) findet ohne die italienische Mannschaft statt. Dazu sagte Giovanni di Lorenzo bei FFH: „Während der WM gehe ich mit jedem essen, Geld ist mir egal – Hauptsache ich bin abgelenkt.“ Auf den Einwurf von FFH-Moderatorin Silvia Stenger, dass er dem deutschen Team die Daumen drücken könnte, sagte di Lorenzo: „Ja, das mache ich ja auch, aber die erste Fußballmannschaft verrät man nie.“

Beinahe wäre Giovanni di Lorenzo Referent von Silvio Berlusconi geworden. Seine Magisterarbeit schrieb di Lorenzo über das Privatfernsehen in Italien, sagte bei FFH: „Berlusconi war durchaus charismatisch und gewinnend. Auf der anderen Seite hatte er ein ganz starres Freund-Feind-Denken. Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Er hat mir in der Tat ein verlockendes Angebot gemacht, als Referent bei ihm anzufangen.“ Di Lorenzo sagte bei FFH über die anstehende Parlamentswahl in Italien (4. März): „Gerade, wenn man sich jetzt den Wahlkampf anschaut, ist es ein Land, das dich zur Verzweiflung treibt. Berlusconi ist wieder da. Wie der 20 Jahre dieses Land beherrschen konnte – und dann dachte man, das ist vorbei. Jetzt ist er wieder da und dann noch verbunden mit einer Hoffnung auf Stabilität. Ein bittererer Treppenwitz der Geschichte geht kaum. Berlusconi war eine Art Blaupause für Trump. Er ist ja so stark und mächtig geworden nicht trotz der Fauxpas und der Skandale, sondern wegen ihnen. Berlusconi wie Trump zielt nicht darauf, dass er Kritiker überzeugt. Er setzt einfach und allein auf die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Und die sagt, auch wenn es noch so rüde ist, es ist wenigstens echt, es ist keine gestanzte Sprache, es ist ein Gegenentwurf zum verhassten Establishment.“ Di Lorenzo weiter: „Berlusconi könnte bei der Wahl der entscheidende Player werden. Er ist ja frisch wieder aufgehübscht worden in einer Südtiroler Beauty-Farm und strahlt in neuem Glanze mit 81 Jahren.“ www.FFH.de