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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Brüder Grimm Festspiele in Hanau begeistern mit packender Inszenierung von „Maria Stuart“

„Sie trägt den Tod im Herzen“

von Britta Hoffmann

(27.05.2019) Die zweite Premiere der diesjährigen Brüder Grimm Festspiele brachte dem Publikum einen Klassiker: In der Reihe „Grimm Zeitgenossen“ hatte Intendant Frank-Lorenz Engel „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller ausgewählt. Er machte daraus eine so spannende wie intensive Inszenierung, die auch dank großartiger Schauspieler keine Sekunde zäh war, sondern bis zum letzten Wort zu fesseln vermochte.

Bildergalerie
Elisabeth zwischen Leicester (li) und Burleigh (re)
Foto: Hendrik Nix
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Viel Applaus gab es für das Ensemble von „Maria Stuart“ bei den Brüder Grimm Festspielen
Foto: Hendrik Nix
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Zugegeben, Klassiker können sperrig sein. All jenen, die seit dem Schulabschluss um dieses Kulturgut einen großen Bogen machen, sei jedoch nachdrücklich zu einem Besuch von „Maria Stuart“ geraten. Hier treffen spannende Handlung, wunderbare Sprache und eine Inszenierung zusammen, die den Zuschauer in ihren Bann zieht. Eine ebenso karges wie effektvoll in Szene gesetztes Bühnenbild, Kostüme ohne Chichi, aber in ihrer Symbolkraft bestechend und vor allem großartige Darsteller machen diesen Klassiker im Hanauer Amphitheater zu einem echten Erlebnis.

Erstes Fazit: Unbedingt hingehen und es ganz vielen Menschen weitersagen. Ein absolutes Muss!

„Maria Stuart“ war und ist Chefsache: Hier hat Intendant Frank-Lorenz Engel das Ruder selbst in der Hand. Er gewährt dem Publikum einen intensiven Blick auf die letzten Tage der Königin von Schottland, die seit vielen Jahren als Gefangene ihrer Tante zweiten Grades, Königin Elisabeth I. von England, gehalten wird. Diese unterstellt ihr politische Ränkespiele mit Gegnern und feindlich gesinnten Ländern. Das angebliche Ziel: Die amtierende Monarchin zu stürzen und selbst auf den Thron zu gelangen – eine Position, die Maria von Geburt her zustehen würde. Maria aber ist selbst das Opfer von Intrigen und wird schließlich aufgrund falscher Zeugenaussagen zum Tode verurteilt.

Der Zuschauer erlebt sie im ersten Akt in ihrem Kerker, eine aufrechte und stolze Frau (Katja Straub), die fest daran glaubt, dass man ihre Unschuld anerkennen wird, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht und selbst in dieser fast aussichtslosen Lage noch versucht, Verbündete zu gewinnen. Ihrem Aufpasser und „Kerkermeister“ Amias Paulet (Werner Tritzschler) vertraut sie einen Brief für Elisabeth an, in dem sie um eine Unterredung bittet, sein Neffe Mortimer (Marcus Abdel-Messih) gibt sich ihr als Gegner ihrer Widersacherin zu erkennen und plant Marias Befreiung, bezahlt dafür aber später mit dem Leben. Fest an ihrer Seite bis zum Schluss steht aber nur ihr Kindermädchen Hannah (Gisela Kraft) – mit anderen Worten: Maria Stuart ist ein einsam kämpfender und zutiefst verängstigter Mensch, der nicht weiß, wem er überhaupt trauen kann.

Trotzdem gibt sie nicht auf: Dem arroganten Baron von Burleigh (Sascha O. Bauer) beispielsweise bietet sie zu dessen Überraschung Paroli, als er das Urteil des Gerichtes verkündet und fordert ihn unerschrocken heraus: „Sie trotzt und wird uns trotzen bis an die Stufen des Schafotts“, muss er anerkennen. Trotzdem steht seine Marschrichtung fest: Die Königin von Schottland muss sterben. Sein Problem und das aller, die Maria unter dem Beil sehen wollen: Elisabeth (Madeleine Niesche) will die Verantwortung für die Hinrichtung nicht übernehmen.

Sie erlebt das Publikum im zweiten Akt – der Bruch zwischen dem trostlosen Kerker und dem strahlenden Thronsaal gelingt mit wenigen Mitteln (Licht, Kostümfarben, ein überdimensionales Wappen an der hinteren Wand) und ist ein echtes Aha-Erlebnis. Schnell wird klar: Die so mächtig und strahlend wirkende Elisabeth ist im Grunde nicht weniger einsam und unsicher wie ihre Widersacherin. Eine Frau, die sich in einer Männerwelt behaupten muss („Er will mich nur als Weib und dabei dachte ich, ich regiere wie ein Mann“), keine Schwäche zeigen darf und die von den Männern um sie herum gnadenlos manipuliert wird. Zentrale Figur: Graf von Leicester (Lutz Erik Aikele). Er bandelte zunächst mit Maria Stuart an, wollte aber eigentlich Elisabeth, versucht vordergründig, Maria zu helfen, redet aber Elisabeth nach dem Mund - beide Frauen sind verliebt in ihn und erwarten viel von ihm, und beide werden enttäuscht.

Als sie Marias Brief mit Bitte um eine Unterredung liest, verliert sie die Fassung – ihre Widersacherin zu treffen, ist ihr Albtraum. Hin- und hergerissen zwischen ihrem tiefen Bedürfnis nach innerem Frieden und dem unbedingten Wunsch nach Macht („Ewig wankt die Krone auf meinem Haupt, so lange sie lebt“) will sie sich einer solchen Begegnung einfach nicht stellen. Dazu kommt die ganz menschliche Eifersucht auf eine Frau, die ihr Leben lebte und die Liebe genoss – Elisabeth ist Jungfrau geblieben und hat sich für die Pflichterfüllung entschieden.

Doch dann kommt es tatsächlich zu einem Zusammentreffen, in dem Maria zunächst demütig um Gnade bittet, dann jedoch vom Hochmut ihrer Gegnerin so erzürnt wird, dass sie komplett die Contenance verliert – diese Szene zwischen den beiden Frauen ist von einer solchen Intensität, dass eine schriftliche Beschreibung ihr einfach nicht gerecht würde. Das muss man gesehen haben: Die Spannung auf der Bühne ist mit Händen greifbar und zeigt das Potenzial der beiden großartigen Darstellerinnen, die jede ihre Rolle so unglaublich gut ausfüllen. Fest steht danach: Maria ist verloren, oder wie es im Text auf den Punkt gebracht wird „Sie geht in Wut und sie trägt den Tod im Herzen“.

Die letzten beiden Akte stehen dieser Schlüsselszene an Spannung in nichts nach, aber es ist hier neben der Handlung, in der sich die finalen Intrigen entwickeln, vor allem die Zerrissenheit und abgrundtiefe Angst Elisabeths, die das Ganze so eindrücklich macht. Die Monarchin muss das Papier zur Urteilsvollstreckung unterzeichnen, aber sie schiebt die Entscheidung von sich, verlagert sie sogar an einen Untergebenen, ist verzweifelt. „Ihr Haupt soll fallen, ich will Frieden haben“ und gleich darauf: „Maria Stuart heißt jedes Unglück, das mich niederschlägt“. Sie weiß, und bekommt es von ihrem Berater Graf von Shrewsbury (Stefan Schneider) eindrücklich bestätigt: Egal wie, die Königin von Schottland ist ihr Stachel im Fleisch und wird es bleiben. Von ungeheurer Symbolkraft: Das rote Kleid, das Elisabeth in diesem Akt trägt (Kostümbildnerin Ulla Röhrs in Topform!).

Im Finale bereitet sich Maria Stuart auf ihre Hinrichtung vor, betet, verabschiedet sich von ihren engsten Vertrauten, bedenkt sogar die, die ihr nicht nur Gutes wollten. Und sie hat auch noch eine passende Bemerkung für Leicester, der ihr an den Stufen helfen will: „Ihr haltet Wort Graf Leicester. Ihr verspracht mir Euren Arm, wenn ich diesen Kerker verlasse.“ Die Hinrichtungsszene ist erfreulich unblutig gelöst, hat aber für den Zuschauer das Kopfkino eines richtig guten Thrillers in petto. Leicester verfolgt sie aus der Ferne – und leidet. Geschieht ihm Recht, könnte man sagen, und gleiches sollte auch für Elisabeth gelten, die zu ihrem Entsetzen erfährt, dass Maria Stuart tot ist. Vor allem aber hört sie von Shrewsbury, dass die verhasste Gegnerin Opfer einer Falschaussage und damit zu Unrecht verurteilt wurde – und dann geht er. Er will seiner Königin nicht mehr dienen. Zurück bleibt eine einsame, verängstigte Frau ohne Glanz, gefangen in ihrer Position und ihrer Erziehung, Und im Grunde genau so ein Opfer.

Wenn dunkle kahle Wände, angedeutete Säulen mit ein bisschen Gold genügen, einen Kerker entstehen zu lassen, goldenes Licht einen Thronsaal zaubert, Kleider in Farbe und Accessoires zu Symbolen werden, dann geht die Phantasie auf eine tolle Entdeckungsreise – all das passiert bei „Maria Stuart“. Und wenn dann noch ein hochprofessionelles Ensemble mit zwei charismatischen Hauptdarstellerinnen zweieinhalb Stunden lang eine fesselnde Spannung aufbaut, dann ist das in diesem Fall nicht „ganz großes Kino“, sondern einfach ganz große Theaterkunst. Unbedingt hingehen! Und es ganz vielen weitersagen!

Termine und weitere Infos zu den Festspielen gibt es unter www.festspiele.hanau.de im Internet, Tickets bei FrankfurtTicket.

 

Hintergrund: Mit den Brüder Grimm Festspielen ehrt die Stadt Hanau die deutschen Märchensammler und Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm, die in Hanau geboren wurden. Jedes Jahr locken die preisgekrönten Festspiele rund 80.000 Besucher an. In diesem Jahr finden die 35. Festspiele mit den Stücken „Jacob und Wilhelm - Weltenwandler“ (Musical/Premiere am 10. Mai), „Bremer Stadtmusikanten“ (Familienstück/Premiere am 1. Juni), „Schneewittchen“ (Theater mit Gesang/Premiere am 8. Juni) sowie „Maria Stuart“ (Reihe Grimm Zeitgenossen/Premiere am 18. Mai) und „Die Leiden des Jungen Werther“ (Reihe Junge Talente/Premiere am 19. Juli) vom 11. Mai bis 29. Juli 2018 statt.

Weitere Informationen über die Brüder Grimm Festspiele gibt es unter www.festspiele.hanau.de im Internet. Tickets gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie im Internet unter www.frankfurt-ticket.de oder auch unter der Telefonnummer (069)1340400.