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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024

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Auf dem Weg zur Kormoran-Insel im Wattenmeer

von Malte Keller

(03.04.2018) Es ist ein klarer und kühler Sommermorgen, der Ostwind hat das Wasser nach Westen gedrückt und die Ebbe – wie gewöhnlich – Nebel und Dunst mit fortgezogen. Vor dem Deich bei Dunsum / Föhr liegt der große, leere Raum; das Watt wie eine Einladung zum Abenteuer.

Auf dem Weg zur Kormoran-Insel im Wattenmeer
Foto: Nordsee--Tourismus
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Links voraus in der Ferne ist Amrum zu sehen, geradeaus die Südspitze von Sylt, deutlich zu erkennen mit dem Leuchtturm von Hörnum. Dazwischen liegt das Watt, drei Stunden vor Niedrigwasser fällt es zunehmend trocken. Und am Horizont, sanft gewölbt wie ein Uhrglas, liegt eine Sandbank, die bei gewöhnlichem Hochwasser nicht mehr überspült wird – deshalb strahlt sie wie Gold vor dem Blau des Himmels. Sie ist das Ziel und etwas Besonderes; denn die „Kormoran-Insel“ zu besuchen, heißt Neuland zu betreten.

Heinz-Jürgen Fischer führt die Gruppe an diesem Morgen hinaus in das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer, er ist der Veteran der Wattwanderungen; Heinz-Jürgen Fischer führt seit mehr als fünfzig Jahren. Und kaum jemand kann die Veränderungen des Watts aus eigenem Erleben so profunde beschreiben wie er. Fischer weiß noch, wie die Leute in den 1950er Jahren mit Pferd und Fuhrwerk zwischen Föhr und Amrum unterwegs waren. „Heute ist das nicht mehr auf direktem Weg möglich, weil sich ein großer Priel in dieses Watt gearbeitet hat.“ Das Watt unterliegt ständiger Veränderung; Sandbänke und Priele sind in permanenter Bewegung, Lage und Verläufe werden von Wind, Wellen und Wasser verschoben. Hier draußen unterliegt alles allein dem Regime der Natur, das macht einen Ausflug auf dem Meeresboden so faszinierend: Unterwegs zu sein, wo der Mensch nicht hingehört und einen Einblick bekommen ins Verborgene. Zur „Kormoran-Insel“ und sich wie ein Entdecker fühlen: „Vor knapp fünfzig Jahren begann sich diese Sandbank aufzuformen“, berichtet Fischer als er die Gruppe über eine schier endlose Wattfläche nach Westen führt, „Kormoran-Insel heißt sie, weil dort manchmal diese schwarzen Vögel beobachtet werden können.“ Zu der Zeit, als sich diese Sandbank zu entwickeln begann, verkleinerten sich solche Gebilde vor der Küste von Amrum – heute hier und morgen fort. Nichts ist hier draußen so beständig wie die Vergänglichkeit: „Vor ungefähr fünfzig Jahren habe ich vom Sand runter Richtung Amrum am Priel des Mittellochs, Feldsteine und Ziegel gefunden, die wie ein Grundriss angelegt dort auf dem Watt lagen“, berichtet Heinz-Jürgen Fischer, „…ich habe das nie wieder gesehen!“ Verborgen unter einer wandernden Wüste im Wasser, versunken im Meer. „Man muss sich das einmal vorstellen: Wo wir heute wandern – und wo das Wasser bald wieder zwei Meter, maximal bis zu drei Meter, hoch steht – war vor Jahrhunderten Land“, sagt Fischer. Anderswo im Watt soll man der Sage nach zu bestimmten Zeiten das Läuten von Kirchturmglocken hören. Ganz alte Karten immerhin verorten dort, wo Fischer die Steine fand, eine Kapelle.

„Stopp und langsam mal…“, Fischer hält inne, er hat etwas gesehen, „schaut; dort hinten liegen Seehunde. Lasst uns stehen bleiben.“ Auf der Sandbank vor der großen Lagune aalen sich die Tiere im Sand und liegen in der Sonne. Wir haben die „Kormoran-Insel“ erreicht. „Um die Seehunde nicht zu stören, müssen wir einen großen Abstand halten und in einem Bogen auf die Sandbank gehen“, sagt Fischer. Zeit zum Beobachten – aber wer wen? Die Seehunde liegen ruhig und gemütlich auf ihrer „Insel“. Vorn schaut eine vorwitzige Schnauze aus dem Wasser in einer Bucht vor der „Kormoran-Insel“. Es geht weiter und bald klirren die Schritte in den Muschelschalen, damit ist die Sandbank erreicht. „Dieser Spülsaum bestimmt die übliche Hochwassermarke und daran erkennt man, dass diese Sandbank in der Regel nicht mehr überflutet wird.“

Irgendwo im Nirgendwo der wilden Wattenwelt zwischen den Inseln Amrum, Föhr und Sylt hat sich also in den vergangenen Jahren ein kleines Stück Neuland aus den Fluten erhoben, auf dem man eine Tide trocken aussitzen könnte. Und doch: „Im Laufe des vergangenen Jahres hat sich die Fläche der Sandbank deutlich verringert, sie ist beinahe um die Hälfte kleiner geworden – und dieser Trend scheint anzuhalten. Außerdem hat die Kormoran-Insel ihre Form und Lage verändert.“ Sie wandert mit den Wellen und an ihrem westlichen Ende sieht sie deutlich angegriffen aus, hier ist sie der offenen See ausgeliefert. Sylt scheint in der klaren Luft zum Greifen nah, doch ist die Insel von hier unerreichbar – der Priel davor ist auch bei Ebbe zwanzig Meter tief. Auf dem glitzernden Wasser liegt ein Krabbenkutter.

Weil das Wasser heute extrem weit abgelaufen ist, liegt vor dem westlichen Ufer der „Kormoran-Insel“ weiterer Meeresboden trocken – eine Landschaft aus Seen und Sandwällen, mit Buchten und Prielen, tief und trockengefallen. Es ist das alleräußerste Ende dieser amphibischen Welt. Ob hier noch irgendwo eine Kapelle steht? Danach liegt nur noch die offene See. Es ist ein Gefühl der totalen Einsamkeit und doch von einer beinah umarmenden Ruhe und Gelassenheit. Still sein und Durchatmen. Die See rollt mächtig heran und glitzert beinah türkis. Schaumkronen tanzen auf der Brandung. Die Luft schmeckt nach dem Meer und die Lippen nach Salz. Es prickelt im Gesicht und vor Freude. Auf dem Rückweg knistert der Sand, der vom ewigen Wind getrieben über die Sandbank weht. Über eine Wüste im Wasser.

Gut zu wissen: Die Kormoran-Insel ist über eine geführte Wattwanderung von Föhr oder Amrum aus zu erreichen. Die Termine für die Wanderungen finden sich im Veranstaltungskalender auf www.foehr.de oder www.amwww.amrum.de bzw. www.der-inselläufer.de
 
Sandbank – Außensand – Hochsand:
Vor der Westküste Schleswig-Holsteins liegen wandernde Gebilde aus Sand, die noch keine Insel sind – vielleicht aber mal eine werden. Neuland sind sie allemal, denn bei normalem Hochwasser gehen sie nicht mehr unter. Auf ein paar wenigen gibt es bereits erste Dünen mit Gras, andere sind eben erst der Nordsee entstiegen. Manche sind strengstes Naturschutzgebiet und Heimat von Seehunden und Seevögeln. Andere darf man besuchen: 
• Den Bielshövensand und den Blauortsand vor der Küste Dithmarschens mit Nationalparkwattführer Johann-Peter „Jan“ Franzen (www.reiseservice-franzen.de).
• Mit den Gebrüdern Hellmann geht’s von der Insel Pellworm im Rahmen einer kleinen Bootstour auf den Norderoogsand (www.pellworm.de)
• Mit den jungen Leuten der Schutzstation Wattenmeer auf Hallig Hooge geht man hinüber zum Japsand (www.schutzstation-wattenmeer.de/unsere-stationen/hooge).

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